…ist ein Begriff, der vor allem durch Marketing-Abteilungen des Bundes getrieben wurde. Damit einhergehend entstand ein Förderprogramm des BMWi [1]. Nach Halang [2]: „Bemerkenswert ist die Tatsache, dass erstmals eine industrielle Revolution ausgerufen wird, noch bevor sie stattgefunden hat“. Das Zitat stammt aus dem Jahr 2014. Heute sind wir natürlich einen Schritt weiter. Auf vielen Seiten des Bundes – aber auch auf Wikipedia – ist zu lesen, dass Industrie 4.0 mehr ein Organisationskonzept darstellt, um vier grundlegende Organisationsprinzipien umzusetzen [1]:
- Vernetzung
- Informationstransparenz
- Technische Assistenz
- Dezentrale Entscheidungen
Natürlich können solche Prinzipien nur umgesetzt werden, wenn Informatik im Spiel ist. Wie kann in einem Industrieunternehmen „vernetzt“ werden, wenn die entsprechenden Software-Tools alle isoliert auf Workstations dem Nutzer/Ingenieur helfen, aber untereinander nichts voneinander wissen? Und genau hier besteht die erste Herausforderung. Eine CAD-Software wird nicht von Haus aus über eine Kollaborationsunterstützung verfügen. Der Hersteller der Software hat u.U. ein entsprechendes Cloud-Feature im Angebot, um Werksübergreifend eine Kollaboration zu gewährleisten. Aber natürlich hat der Hersteller kein Interesse daran, die CAD-Zeichnungen über verschiedenste Unternehmenssoftware einem breiteren Publikum zukommen zu lassen. Lizenzen sind Geld. Und je mehr der Kunde kauft, desto mehr Geld verdient der Hersteller. D.h. letztendlich fehlt den kompletten Unternehmenssoftware-Herstellern ein Anreizsystem, überhaupt eine Vernetzung (von Haus aus) anzubieten. Wenn ich mich an meine Beraterzeit erinnere, dann verlangt ein großer Hersteller (mit den drei Buchstaben) eine unglaublich hohe Gebühr, um Daten aus seinem System per Schnittstelle an ein anderes zu liefern. Warum denn das, fragen Sie? Ganz einfach, um das System möglichst geschlossen zu halten, Lizenzen zu verkaufen und für alles andere die eigenen Produkte anzupreisen. Der Hersteller mit den drei Buchstaben hat überall ein entsprechendes Angebot, das passt oder passend gemacht werden kann (alles billiger als die Schnittstellen-Lizenz). U.a. wird die Informationstransparenz somit von vorne herein von den Software-Herstellern untergraben.
Ein weiteres schlechtes Beispiel des Industrie 4.0 Zeitalters leben die größeren Unternehmen in Deutschland vor. Überall sieht man die Tage Stellenausschreibungen für Industrie 4.0 bzw. Digitalisierung. Es werden in allen Industrieeinheiten Digitalisierungs-Stellen aufgebaut. Es muss natürlich überall vernetzt, Informationstransparenz geschaffen, Technische Assistenz und eine dezentrale Entscheidungssteuerung eingeführt werden. Die Leitung dieser Industrie 4.0 Stellen werden meistens intern besetzt. D.h. wenn Sie als Informatiker nach dem Studium eine solche Stelle ergattert haben, sitzt vor Ihnen ein Ingenieur, der weiß wie z.B. Autos gebaut werden, aber von Softwareentwicklung wenig Ahnung hat. Wenn Sie dem dann erzählen, dass Sie z.B. ihre Software testen müssen (Unit-Test, Komponenten-Tests und das alles kontinuierlich mittels Jenkins usw.). Was sagt der Kollege dann: Bitte erst implementieren und am Ende die Tests machen. Genau so, wie das auch in seiner Ingenieurs-Disziplin gelaufen ist. Und genau hier entstehen die Fehler, die die Sofwareentwicklungsfirmen schon vor 20 Jahren gemacht haben, noch einmal aufs Neue. Zitat eines Ingenieurs bei einem Industrie 4.0 Workshop [3]: „Beim Thema Digitalisierung sitzen inzwischen schon viele auf dem Pferd, aber leider falsch herum, und wundern sich doch tatsächlich, warum es am Auspuff stinkt!“
Aber was können wir jetzt tun, um diesen Problemen zu entgegnen? Aus meiner Sicht sollte die Regierung nicht Milliarden investieren, um die Industrie ins nächste Zeitalter zu führen. Entweder schafft das die Industrie mit ihren Produkten selbst, oder halt eben nicht. Besser wäre ein Gesetz, dass jeden Softwarehersteller zwingt offene Schnittstellen anzubieten. Aber ob das wieder nicht etwas zu kompliziert ist für unseren Minister in diesem „Neuland“. 😉
Und was die Industrieunternehmen angeht: Bitte, wenn ihr schon Softwareentwicklung machen wollt, lernt die aktuellen Vorgehensweisen Agil, Scrum, Kanban usw. Und lasst die Software-Entwicklung sich selbst organisieren. Es gibt zahlreiche Methoden Produkte, z.B. über ein Srum-Backlog, kontinuierlich entwickeln zu lassen oder auch einzelne Prototypen anzufordern, ohne dass ein fachfremder Teamleiter die potentiell effektive Arbeitsweise eines Softwareentwicklungs-Teams zerstört. Um die Anforderungen für die vier genannten Prinzipien zu sammeln empfehle ich „Design Thinking“ Workshops mit den führenden Ingenieuren. Das ist meines Erachtens der beste Ansatz Ideen für neue Produkte bzw. Neue interne Prozesse zu definieren.
Digitalisierung bedeutet nicht, dass in allen Organisations-Einheiten versucht werden soll zu Vernetzen, Informationstransparenz zu schaffen, technische Assistenz zu gewährleisten und dezentrale Entscheidungen zu treffen. Und vor allem ganz wichtig: Nicht überall und alles. Die Deutschen bzw. unsere Mentalität neigt dazu, Probleme immer komplett lösen zu wollen. Das ist nicht zielführend.
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[1] Wikipedia -> Industrie 4.0 https://de.wikipedia.org/wiki/Industrie_4.0
[2] Wolfgang A. Halang, Herwig Unger: Industrie 4.0 und Echtzeit. 2014, Springer Vieweg, ISBN 978-3-662-45108-3, S. V; zitiert: Rainer Drath: Industrie 4.0 – Eine Einführung. in open automation. Ausgabe 3/14
[3] Gerd Kielburger, ePROCESS Newsletter, Vogel Business Media GmbH & Co. KG